Zweiter Lockdown – gleiches Problem! Unter den geltenden Corona-Beschränkungen sind kaum Aus- und Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen der Trainerausbildung im Sport möglich.
Viele Organisationen arrangieren ihre Lehre neu und nutzen die Zeit ohne Präsenzlehre für e-Learning-Module. Die Idee dabei: Im e-Learning liegt der Schwerpunkt auf Theorie und die Praxisphase wird einfach in die Zukunft geschoben. Klingt sinnvoll, oder? Warum das aus unserer Sicht nicht sinnvoll ist, erfahrt ihr in diesem Blogartikel.
Einer unserer Kunden teilte uns zuletzt im Gespräch mit: „Wir waren solch guter Dinge, nachdem wir online alle Konzepte aufbereitet und mit Aufgaben versehen haben. Doch dann musste wir feststellen, dass die Verknüpfung von Online- und Präsenzphase gar nicht so einfach ist. Irgendwie haben die Teilnehmenden erstaunlich wenig aus der Online-Phase mitgenommen“.
Wir fragen: Woran kann das liegen?
Schauen wir uns dafür ein Beispiel aus der Basisqualifikation der C-Lizenz an. Zumeist ist ein Modell der konditionellen und koordinativen Fähigkeiten Bestandteil der Ausbildung. Den Teilnehmenden, die gerade erst mit der Trainerausbildung begonnen haben, fällt das Erlernen der Begriffe häufig schwer. In den Köpfen entstehen dann Gedanken wie: Was will er oder sie von uns? Wozu brauchen wir das? Kann man die Modelle nicht einfacher erklären?
Von welchen Faktoren hängt der Lernerfolg ab?
Lernen hängt von verschiedenen Faktoren ab. Hierzu zählen beispielsweise das Vorwissen, die Motivation, die Lernbereitschaft der Lernenden, deren emotionaler Zustand und die Relevanz des Inhalts (Roth, 2004). Somit ist die Vorwissensaktivierung eine der wesentlichen Komponenten beim Lernen (Krause & Stark, 2006).
Vorwissensaktivierung meint, dass wir in einem ersten Schritt „vor aller Theorie“ nach den Erfahrungen der Teilnehmenden fragen, sie unter einer bestimmten Fragestellung ins Handeln bringen, sodass eine bisher als selbstverständlich eingestufte Sache reflektiert betrachtet wird. Gemeinsam mit dem bisher vorhandenen Wissen bekommen Informationen eine Bedeutung. So wird das Altwissen mit dem Neuwissen in Verbindung gebracht und abgespeichert (Reinmann, 2015).
Doch wie wird entschieden, welche Informationen im Gedächtnis „hängen bleiben“?
Das sogenannte limbische System wirkt in unserem Gehirn wie ein Filter für Informationen. Es gleicht jederzeit ab, ob es sich lohnt, dem „Reiz“ eine gewisse Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei werden die aufgenommenen Informationen mit dem vorhandenen Wissen abgeglichen und eine Bewertung vorgenommen (Roth, 2004).
Ein Beispiel: Wenn ein Teilnehmender an einer Übungsleiterlizenz-Ausbildung teilnimmt und das Wort „Reaktivkraft“ hört, hat er oder sie dazu in der Regel kein spezifisches Vorwissen. Kann eine Information nicht mit Vorwissen oder eigenen Erfahrungen verknüpft werden, kann sie schwerer verarbeitet werden und wird oftmals nach kurzer Zeit wieder vergessen.
Zugang zum Vorwissen beim e-Learning schaffen
Es bringt also meist wenig Lernerfolg, gleich am Anfang mit einem theoretischen Konstrukt zu beginnen, da der Aufmerksamkeitsfilter des Lernenden die Informationen erst gar nicht „durchlässt“. Tut man es doch, dann läuft der oder die angehende ÜbungsleiterIn in der Sporthalle Gefahr, sich an keine Inhalte zum Thema Reaktivkrafttraining zu erinnern. Es ist kein Wissen zu diesem Begriff vorhanden und der Stoff muss erneut behandelt werden. Das kostet uns alle wertvolle Zeit.
Wie kann dieses Problem praktisch gelöst werden? Beispielsweise könnte man Teilnehmenden die Aufgabe stellen, zunächst die Reaktivkraft als „Phänomen“ zu erleben. Man könnte als ReferentIn fordern, zunächst aus der Kniebeuge möglichst hoch zu springen. Die gemessene Höhe wird verglichen mit einem Sprung, bei dem man aufrecht startet, dann schnell in die Kniebeuge geht und sich sofort vom Boden abdrückt. Das macht doch neugierig, oder?
Daran anknüpfend könnte die Frage gestellt werden, in welchen Sportarten diese Art der Kraft besonders häufig benötigt wird und welche anderen Arten der Kraftausübung noch bekannt sind. Auf diese Weise werden eigenen Erfahrungen gesammelt und mit theoretischem Wissen verknüpft. Dieses lässt sich daraufhin in der Praxis situationsgerecht und einfach abrufen. Mit unilateralen Web-Based-Trainings (WBT) lässt sich dies natürlich nicht umsetzen. Hierzu braucht es eine e-Learning-Plattform, welche die qualitative Arbeit mit den Lernenden erlaubt.
Das Kompetenzmodell für die Trainerbildung im DOSB
Die beschriebenen Grundprinzipien von Lehre – hier am Beispiel der Aktivierung von Vorwissen – finden sich auch im DOSB-Kompetenzmodell wieder (Sygusch et al., 2020). Schrittweise wird in dem Modell ein höheres Kompetenzniveau bei einer Lerngelegenheit erreicht (Abb. 1).
Gerade jetzt in der Corona-Zeit erleben wir es nicht selten, dass die asynchrone Phase des Online-Moduls dazu genutzt wird, theoretische Konzepte „zu vermitteln“ und alle Lernenden auf den gleichen Stand zu bringen. Dies bleibt vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Voraussetzungen der Teilnehmenden ein gut gemeintes Element in der Kursgestaltung. Ein solches Arrangement der Lerninhalte kann allerdings höchstens für diejenigen funktionieren, die bereits über ausreichend viel Vorwissen verfügen. All diejenigen, die noch nicht auf diesem Stand sind, also die Teilnehmenden mit wenig Vorwissen, werden schon vor Beginn der wertvollen Phase des synchronen Austausches abgehängt.
Zum Mitnehmen: Kernaussagen zur Theorievermittlung mit e-Learning
- Unser Gehirn hat einen „Türsteher“, der entscheidet, welche Informationen aufgenommen und weiterverarbeitet werden (limbisches System). Wenn keine Beziehungen zu dem bereits vorhandenen Wissen erkannt werden kann, wird die Information nicht „reingelassen“.
- In der Konzeption von Lehrgängen müssen wir Erfahrungen und Vorwissen generieren, um unser Gehirn für das theoretische Wissen zu „öffnen“.
- Ein e-Learning-Modul, das reines Theoriewissen vermittelt, ist abzulehnen, da es lediglich für diejenigen wirkt, die bereits über ein großes Vorwissen verfügen. Für die Ausbildung auf niedrigen Lizenzstufen im Sport heißt das: Möglichst über praktische und selbst konstruierte Beispiele einen Zugang zu theoretischen Konzepten schaffen.
Literaturverzeichnis
Krause, U.-M. & Stark, R. (2006). Vorwissen aktivieren. In H. Mandl & H. F. Friedrich (Hg.), Handbuch Lernstrategien (S. 38–49). Hogrefe.
Reinmann, G. (2015). Studientext Didaktisches Design. https://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2013/05/Studientext_DD_Sept2015.pdf
Roth, G. (2004). Warum sind Lehren und Lernen so schwierig? Zeitschrift für Pädagogik, 50(4), 496–506.
Sygusch, R., Muche, M., Liebl, S., Fabinski, W. & Schwind-Gick, G. (2020). Das DOSB-Kompetenzmodell für die Trainerbildung: Teil 1. Leistungssport(1), 41–47.